Salzsee

Rainer Zumach auf Norton Racer auf Salzsee
Norton Racer

BONNEVILLE, UT

Ein Text von Stephan Feller

Die Idee (Zwischen Horror und Abenteuerlust)

Lass uns nach Bonneville fahren und den Weltrekord brechen“ schlug Rainer irgendwann im Jahr 2016 wie aus dem Nichts vor. Zumindest kam es mir so vor. Der genaue Zeitpunkt ist mir entglitten, wie wohl auch meine Gesichtszüge, als ich kurz überlegte, wen er wohl mit „uns“ meinte. Sofort wurde mir klar, er meinte nicht nur sich, sondern seiner Ansicht nach auch mich und alle Menschen aus seinem engeren Freundeskreis, die Lust hätten und verrückt genug wären, mitzufahren. Bilder von wilden Diskussionen mit der Finanzministerin meines Haushaltes und logistischem Horror entstanden in Bruchteilen von Sekunden vor meinem inneren Auge. Eine Reise für eine Gruppe von Menschen mit wohl unterschiedlichsten Vorstellungen und Wünschen die USA betreffend zu organisieren, ein nicht zulassungsfähiges Rennmotorrad zu verschiffen und zu verzollen, Infrastruktur für eine Weltrekordfahrt im weißen Nichts, das sich Bonneville Salt Flats nennt, weit weg von den dichter besiedelten und damit gut ausgestatteten Küstenregionen der USA bereitzustellen und – und – und. Zwischen Abenteuerlust über Kopfschütteln bis zu Schweißausbrüchen war bei mir alles an Gefühlsregungen dabei. Sogar die Hoffnung, dass am Ende nichts daraus würde, blitzte ganz kurz auf. Vielleicht ging es ja einigen in der potenziellen Unterstützergruppe wie mir? Emotionale Achterbahnfahrt. KATASTROPHE! Das einzig Beruhigende zu jenem Zeitpunkt: es gab noch gar kein Motorrad und damit schien zumindest etwas Zeit gewonnen. Um das Ganze zu überdenken. Weil gefühlt unmöglich, zumindest aber über den Daumen gepeilt viel zu teuer. Und dann dieses fast anmaßend klingende Ziel: Weltrekord.

Die Bauphase (Zack!)

Meint er das wirklich ernst? Und wie. Bedenken wurden ignoriert. Schnell fand Rainer nach intensiverer Recherche eine seinen Vorstellungen entsprechende „Rennklasse“, in der die Chancen auf das Einstellen des Weltrekords in greifbarere Nähe rückte. Der stand in der 750ccm Klasse mit benzinbetriebenen Stoßstangen-Vergasermotoren bei 149,9 mph. Knapp über 250 km/h. Sein Ehrgeiz war geweckt. Das sollte zu schaffen sein. Äh, womit gleich? Wieder kurzes Aufblitzen meiner Hoffnung auf keinen logistischen Horror. Aber: nix da. Einer der Aspiranten der Unterstützergruppe fand ziemlich zügig in seiner fernen „neuen“ Heimat Australien einen passenden 750ccm Norton Combat Motor. Kurze Rücksprache mit Rainer und schon war das gute Stück auf dem Weg über den indischen Ozean und Atlantik nach Ristedt. Zack. Ich dachte nur kurz, wir wollen doch nach BONNEVILLE fahren, warum also nicht einen Triumph T140 Bonneville Motor pimpen? Er entspräche derselben Rennklasse. Ich hielt die Klappe. Widerworte sowieso zwecklos. Der Motor schaukelte ja schon seiner zweiten Äquatortaufe entgegen. Kurze Zeit später fand Rainer ein passendes Getriebe und auch eine funktionierende und leichte Telegabel. Schon wieder Zack. Schnell folgten Radnaben. Und? Genau! Nochmal Zack! Fröhlich und zügig wurde nach Bestellung des offiziellen Regelbuchs der Southern California Timing Association (SCTA) ein niedriger und den Bedingungen entsprechender Rahmen zusammengebaut (siehe technische Zeichnung). Rainer konnte hier auf seine langjährige wenn auch schon etwas zurückliegende Rennerfahrung zurückgreifen; denn beim Gespannfahren auf Grasbahnen wurden damals fast alle Rahmen selbst gebaut.

Jedenfalls fanden nun viele feucht-fröhliche und Zigarrenrauch geschwängerte Sitzungen mit zunehmender Entspannung meinerseits statt, um alle den Vorschriften der SCTA entsprechenden Baumerkmale zu beachten. In der Hoffnung damit Nachbesserungen im weißen Nichts bestmöglich umgehen zu können. Fehlende Infrastruktur und so. Auch reger und sehr freundlicher E-Mailverkehr mit der SCTA half, Unsicherheiten weiter zu vermindern und die Entspannung und Abenteuerlust zu fördern – DANKE, Jim Hoogerhyde!

Die Abnahme (Interludium)

Tatsächlich und zur Überraschung nicht nur der in Bonneville anwesenden Unterstützergruppe, sondern auch der in Bonneville anwesenden Offiziellen und einigen umstehenden klugscheißenden sogenannten „Profis“ und vielen freundlichen „alten Hasen“, wurde das Motorrad der Neulinge – heißt auf Amerikanisch „Rookies“ – sofort ohne jegliche Beanstandung abgenommen! Oben erwähnter Jim Hoogerhyde, zufällig auch Chef unseres Abnahmeteams vor Ort, meinte nach intensivster Begutachtung mit einem zugewandten Kollegen unter einem vor der starken Sonneneinstrahlung schützenden Pavillon nur lakonisch, dass es immer besonders schön sei, wenn Wettbewerber das SCTA-Regelbuch auch lesen würden. Mehr Lob und Anerkennung geht kaum. Das ganze Team um den vielleicht noch berühmter werdenden Rennfahrer war stolz.

Insgesamt sind tatsächlich 12 Menschen aus Rainers Freundeskreis mit Rainer nach Bonneville gefahren. Ein größerer Teil der Gruppe reiste vor und nach der Rennveranstaltung noch gemeinsam durch den Westen der USA, nicht nur um sich an den vielen Sehenswürdigkeiten dieser eindrucksvollen Landschaften zu laben, sondern auch um die Norton aus dem Zolllager in Los Angeles auszulösen und sie dort nach getaner Arbeit wieder nach Deutschland zu verschiffen. Die Geschichte der Verzollung und Verschiffung und die der Reise wären jeweils ein eigener Roman. Festzuhalten ist allerdings, dass sich auch durch die intensive Vorbereitung keine der Befürchtungen bewahrheitete.

Bis es allerdings so weit war, musste das Motorrad wettbewerbsfähig werden. Ohne wirkliche Chance auf den Rekord wollte man die oben angedeuteten „Schwierigkeiten“ jedenfalls nicht auf sich nehmen. Da waren sich alle einig. Rainers Motto: Entweder geht man den ganzen Weg oder man lässt es. Es war klar. Er würde es nicht lassen. Nun lag es auch am Unterstützerteam den ganzen Weg mitzugehen. 

Der Motor (…und der Jörg)

Im Hintergrund machte Rainers Freund Jörg Winkelmann dem Motor Beine. Dem Kopf des Langhubers wurden durch veränderte Ventilwinkel sowohl größere Ventilteller als auch mehr Ventilhub spendiert, um die Atmung zu optimieren. Dazu sollten neben einer schärferen Nockenwelle mit mehr Überschneidung und leichteren Stößeln auch verschiedene Vergasersätze beitragen, die man bei Prüfstandläufen testen wollte. Amal oder Mikuni. Mit unterschiedlichen Bedüsungen, denn Bonneville liegt auf 1.291m ü. NN. Dünne Luft.

Der Rumpfmotor bekam Carillo Pleuel und Superblend Lager und wurde akribisch zusammengebaut, da er so zuverlässig und haltbar wie irgend möglich werden musste. Die Telefondrähte des Werkstattfernsprechers W48 (s. Werkstattfoto) liefen heiß. Jörg wurde häufig konsultiert und trug wesentlich zu neuen Erkenntnissen um den Wettbewerbsmotor bei. Im Herbst 2018 näherte sich das Motorrad seiner Vollendung und es konnten erste Prüfstandläufe anberaumt werden, da sich im Unterstützerteam glücklicherweise ein solches Gerät nahe Rainers Werkstatt befindet.  Erste Läufe im ehemaligen Schweinestall führten allerdings erstmal zu dicker Luft. Das Motorrad war noch nicht bereit für die dünne Luft Utahs. Neben kleineren Problemen mit der Isolastic fehlte einfach Leistung. Aber, und das war allen Anwesenden wichtig, der Motor selbst war drehzahl- und standfest. Jetzt löste sich bei mir die letzte Anspannung und ich wollte das Biest unbedingt über die Salzpfanne in Utah brüllen hören. Der Klang, der den offenen Megaphonen im Schweinestall entwich, entschädigte für die schlaflosen Nächte. Und nach dem Wechsel zu 36er Mikuni Rennvergasern und einer angepassten Abstimmung der Auspuffmegaphone war am Ende auch endlich die gewünschte Leistung da. Danke Jörg! (s. Diagramme). 

Auf nach Bonneville, UT (“Go west, young men and women!“)

Es konnte also wirklich losgehen. Flüge, Reiserouten, Hotels, Motels, Leihwagen (vom V8 Dodge Ram als Transportvehikel für die Norton bis zum scheddrigen Wohnmobil auf V8 Ford Econoline-Basis auf dem Salzsee), der Besuch von Sehenswürdigkeiten, Termine mit der Spedition etc. mussten organisiert werden. Z.T als Team z.T arbeitsteilig und am Ende mit Hilfe eines Reisebüros. Rainers Traum könnte tatsächlich wahr werden. Jetzt musste nur noch mein guter Freund Lynn Carlson aus Alexandria, Minnesota davon überzeugt werden, mit der für ein erfolgreiches Gelingen notwendigen Infrastruktur zu uns auf den Salzsee zu stoßen. Die Liste dafür war so lang wie Lynns Weg über Prairie und Rockies und reichte von Planen, Pavillons, Werkzeug über Funkgerät (vorgeschrieben für das Begleitfahrzeug), Kühltaschen, mehreren Paletten Dosenbier bis hin zu einer brandneuen batteriebetriebenen Startmaschine für die Norton. Viel Überzeugungsarbeit brauchte es nicht, denn als er von unseren Ideen hörte, war er sofort Feuer und Flamme für unser Abenteuer. DANKE, Lynn!

Auf dem Salz angekommen wurde auf einem LKW-Parkplatz gegenüber der von einer indischen Einwandererfamilie geführten Sinclair Tankstelle (mit Restaurant) an der I 80 kurz vor Wendover die Wagenburg erstellt und das Camp aufgeschlagen. Der Plan war eigentlich, dichter am Geschehen zu bleiben – allerdings war das Geläuf witterungsbedingt zu feucht – was insgesamt Sorgenfalten erzeugte (s.u.) – um direkt auf dem Salz zu campen. Letztlich trotzdem nicht übel. So hatten wir die Duschen und Toiletten sowie zuerst ausreichend Bier und morgens heißen Kaffee und Sandwiches durch den Truckstop gegenüber zu unserer Verfügung. Twentyfour-seven. Am vorvorletzten Tag ging den schweigsamen Indern allerdings das Bier aus. Bis zu unserer Abreise. Folge: verständnisloses deutsches Kopfschütteln. Nachschub wurde allerdings schnell aus dem naheliegenden Ort Wendover von uns selbst organisiert. Wichtig. Denn die langen, heißen und intensiven Sonnentage auf dem Salz verlangten nach etwas mehr Abkühlung. Lynn erfreute uns zusätzlich mit Margaritas, die er mit original Bonneville-Salzrand krönte.

Der Rekord (und ein vorläufiges Fazit)

Die eigentlichen Rekordfahrten sind schnell erzählt, weil es leider nur drei gab. Die ersten beiden auf der Kurzstrecke, um die Lizenzen und damit die Erlaubnis zu erhalten, überhaupt eine Rekordfahrt auf der langen Bahn durchführen zu können. Schon bei den ersten beiden Fahrten wurde schnell klar, dass Fahrer und Motorrad dem Erreichen eines Weltrekords in der Klasse „Benzingetriebenes, unverkleidetes und selbst gebautes Motorrad mit 750ccm Stoßstangenvergasermotor“ nicht im Wege standen. Der Motor brüllte herrlich und kleinere Veränderungen an der Sekundär-Übersetzung vor Ort führten umgehend zu den gewünschten Verbesserungen. Fahrer und Motorrad wurden mit jedem Lauf schneller. Trotz der dünnen Luft. Allerdings hatten wir, wie so viele, den problematischen Zustand der Salzpfanne im Sommer 2019 unterschätzt. Aufgrund der Witterung aber auch der industriellen Nutzung von Teilen dieses Areals, wird die Salzschicht immer dünner und bleibt im Sommer oft zu feucht. Erst gegen Ende des Veranstaltungszeitraums konnten wenigstens drei von möglichen vier Bahnen für eine Nutzung freigegeben werden. Uns lief die Zeit davon und der Zustand des Salzes wurde nicht wirklich besser. Die Wartezeiten vor der langen Bahn allerdings immer länger und am Ende konnte die Norton also nur dreimal mit aller Kraft über das Salz aus vollen Megaphonen brüllen. HERRLICH. Aber viel zu kurz und nur bei einer möglichen Rekordfahrt. Erfolglos. Weil das Motorrad auf dem nassen Untergrund keine Traktion fand und gefährlich schlingerte. Wie viele Fahrzeuge. Rekorde gab es dann tatsächlich auch nur wenige, Unfälle mehrere – also zu viele – und das steigende Unfallsrisiko ließ weitere Versuche einfach nicht zu. KATASTROPHE? Im Gegenteil. Das Abenteuer war jede durchwachte Nacht wert. KEIN Horror. Bitter? Ein bisschen. Aber die richtige Entscheidung. Das Abenteuer endete also ohne den erhofften Eintrag ins Bonneville-Buch. Allerdings ist der in „unserer“ Klasse bestehende Rekord bisher noch nicht gebrochen worden. Wir warten nach dieser wirklich besonderen Reise ins weiße Nichts darauf, dass Rainer wieder wie aus dem Nichts vorschlägt: „Lasst uns nach Bonneville fahren und den Rekord brechen.

Bildquellen:

  • Norton Racer: ©Fabian Feller
  • Norton SP left: ©Rainer Zumach
  • Norton SP top: ©Rainer Zumach
  • Norton SP: ©Rainer Zumach
  • Norton SP: ©Rainer Zumach
  • Norton Racer Rahmen: ©Rainer Zumach
  • Norton Racer Kurbelwelle: ©Rainer Zumach
  • Norton Racer Motor: ©Rainer Zumach
  • Norton Racer Motor: ©Rainer Zumach
  • Messwerte komplett: ©Rainer Zumach
  • Messwerte komplett: ©Rainer Zumach
  • Norton Racer Bonneville Team: ©Fabian Feller
  • Norton Racer Bonneville: ©Fabian Feller
  • Norton Racer Technische Abnahme: ©Fabian Feller
  • Norton Racer Salzsee Team: ©Fabian Feller
  • Norton Racer: ©Fabian Feller
  • Norton Racer: ©Fabian Feller
  • Norton Racer Before Race: ©Rainer Zumach
  • Norton Racer: ©Fabian Feller
  • Norton Racer: ©Fabian Feller
  • Norton Racer: ©Stephan Feller
  • Norton Racer: ©Fabian Feller
  • Norton Racer: ©Fabian Feller